Wenn ein Künstler vom Kaliber eines Mitch Ryder auf eine Karriere zurückblickt, die sich über sechs Jahrzehnte erstreckt, und dabei sein neuestes Album als absolutes Muss bezeichnet, sollte man diese Aussage ernst nehmen. Ryder ist eine Ikone des Rock ’n‘ Roll, einelebende Legende, deren Einfluss die Geschichte der amerikanischen Musik geprägt hat. Wer die Wurzeln und Verästelungen dieses Genres verfolgt, wird bestätigen: Mitch Ryder verdient seinen Platz auf dem imaginären Mount Rushmore des Rock ’n‘ Roll. Er ist der spirituelle Vorreiter für Generationen von Musikern – von Bruce Springsteen bis Ted Nugent –, die ihren Verstärker aufgedreht und ihre Wahrheiten hinausgeschrien haben.
Als Rock ’n‘ Roll-Pionier stand Ryder bereits in den späten 50er Jahren im Zentrum des Geschehens. Er ist der Hitmacher, der Mitte der 60er Jahre die Charts mit Detroit Wheels-Songs wie Jenny Take A Ride und seiner Neuauflage von Devil With A Blue Dress On eroberte. Doch Ryders Einfluss reicht weit über diese Erfolge hinaus: Er war 1967 der letzte Künstler, der mit Otis Redding auftrat, und 2017 wurde er als erster lebender weißer Musiker in die R&B Hall of Fame aufgenommen. Seine Karriere ist ein eindrucksvolles Zeugnis von musikalischem Können, Innovation und Leidenschaft – und sein neues Album ein weiteres Kapitel dieser außergewöhnlichen Geschichte.
Für viele Musiker von Mitch Ryders Generation und Status bedeutet das Alter oft ein Nachlassen der Kreativität und das Zurückgreifen auf alte Hits. Doch nicht so bei Ryder. Auch in seinem achten Lebensjahrzehnt zeigt sich der in Michigan geborene Singer-Songwriter unermüdlich und innovativ. Seine Vergangenheit ist beeindruckend, doch er richtet den Blick stets auf das, was noch vor ihm liegt. Dieses unerschütterliche Streben nach Weiterentwicklung spiegelt sich in seinem neuen Studioalbum With Love wider, das von Don Was (Bob Dylan, The Rolling Stones, Bonnie Raitt, Iggy Pop) produziert wurde.
Das Album, das im Februar 2025 bei Ruf Records erscheint, vereint harte, zärtliche und zutiefst persönliche Songs, die mühelos mit den besten Momenten seines beeindruckenden Katalogs mithalten können. „Von den 21 Studioalben, die ich aufgenommen habe, gehört dieses zu den beiden besten“, erklärt Ryder. Er blickt dabei auf eine Diskografie zurück, die mit Take A Ride with The Detroit Wheels im Jahr 1966 ihren Anfang nahm. „Es ist eines der ehrlichsten Alben, die ich je gemacht habe. Nicht, dass die anderen unehrlich wären, aber diesmal konnte ich auf Gefühle zugreifen, die mir zuvor verborgen geblieben sind.“ With Love ist mehr als nur ein neues Kapitel – es ist der Beweis dafür, dass Mitch Ryder auch nach sechs Jahrzehnten als Künstler nichts von seiner Relevanz und Schaffenskraft eingebüßt hat. Die herausragende musikalische Leistung war sicherlich ein Katalysator, aber die wahre treibende Kraft hinter With Love sind zweifellos Ryders zehn neue Eigenkompositionen: eine so intelligente, satirische, witzige und schräge Sammlung von Songs, wie sie der erfahrene Songwriter noch nie auf einem Album versammelt hat. Von den wirbelnden Latin-Rock-Grooves von Oh What A Night und Pass It To The Right (eine Ode an die Joint-Etikette auf einer hedonistischen Party) über den verspielten Soul von Sanguine bis hin zum Stones’schen Chop von Wrong Hands – an Ryders Songwriting gibt es keinen Zweifel mehr. „Alles auf dem Album ist autobiografisch“, erklärt er die Tracklist, die mit der geisterhaften Selbstanalyse von The Artist und dem fröhlich klingenden, aber morbiden R&B von Just The Way It Is die Unausweichlichkeit von Leben und Tod thematisiert. „One Monkey handelt von meiner Drogensucht und wie ich sie überwunden habe. Fly handelt von meiner Karriere und wie glücklich ich darüber bin, von der Entwicklung und dem Werk, das ich schaffen konnte.“
Unglaublich, mehr als ein halbes Jahrhundert, nachdem Mitch Ryder das erste Mal auf dem Rock’n’Roll-Radar aufleuchtete, beweist With Love, dass dieser lebenslange Visionär immer noch kreativen Sprit im Tank hat. „Übung macht den Meister“, lächelt er über seine wachsende Diskografie, die ganz offensichtlich das Werk eines Mannes ist, der immer noch nach etwas Größerem strebt. „Ich habe es noch nicht geschafft, aber ich arbeite daran…“.